EINZELPROJEKTE / MIRA SHAH
Affen und Affekte - Die Rhetorik der Primatologie
Mira Shah
Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Auflage. Leipzig 1905. |
Dies ist ein Planet der Affen. Dass der Mensch nicht als solcher bezeichnet wird, sondern dafür seine nächsten Artverwandten als Menschenaffen, ist nur ein kleines Puzzlestück in einer emotionsgetriebenen Rhetorik der Primatologie.
Dieses literaturwissenschaftliche Dissertationsprojekt befasst sich zum einen mit der Rolle, welche Emotionen in den populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen von Affenforschern und Affenforscherinnen spielen – z.B. als Wahrnehmungs-, Erkenntnis- oder Darstellungsmodi in der Feldforschung. Die betreffenden Texte, vor allem Berichte von längeren Feldaufenthalten und Memoiren, formen sowohl unsere Sicht auf nicht-menschliche Primaten als auch unser Verständnis unserer selbst als Menschen im evolutionären Kontext. Sie sind zugleich Zeugnisse emotionalen Erlebens in der wissenschaftlichen Tier-Mensch-Beziehung im Feld und reflektieren Methoden, Traditionen und Agenda der Forschung. Als solche bieten sie nicht nur eine wichtige Schnittstelle zwischen den drei am Projekt "Affekte der Forscher" beteiligten Disziplinen, sondern zeigen auch den Wandel in der emotionalisierten anthropologischen Selbsterkundung am Affen auf. Die in Frage stehende Textform kombiniert dabei unterschiedliche literarische Gattungen wie die Memoiren, den Reisebericht, den Forschungsbericht, das Tagebuch, die Novelle oder das Drama.
Diese Texte stehen jedoch zum anderen in diskursivem Austausch mit kulturellen Erzeugnissen: Gerade das Emotionalisierungspotenzial der Primatologie befördert ihre Aufnahme und Bespiegelung auch in einem populärkulturellen Bereich. Dessen weit gesteckte kreative Grenzen erlauben Gedankenexperimente, die den wissenschaftlich motivierten Schriften der AffenforscherInnen verwehrt bleiben, – zum Beispiel in der Science Fiction, deren Affen-Begeisterung zusammenfällt mit der Hochzeit einer an der Feld- und Langzeitforschung orientierten, öffentlich und 'emotional' vermittelten Primatologie. Während die Texte die ich untersuche, dezidiert von den Autoren (u.a. George Schaller, Jane Goodall, Dian Fossey, Biruté Galdikas, Shirley C. Strum, Robert Sapolsky) auch dazu genutzt werden, Emotionen Raum zu gewähren, die in 'rein' wissenschaftlichen Publikationen keine Rolle spielen dürfen, finden die mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen einhergehenden Ängste hinsichtlich des Überlegenheitsgefühls des Menschen durchaus fruchtbar ihren Ausdruck in kulturellen Erzeugnissen, im Film wie in der Literatur. Aus diesen Erzeugnissen wiederum lernt die Primatologie, wie sich von der eigenen Sache und von den eigenen Anliegen erzählen lässt, wie die Forschung eingängig und publikumswirksam wird. Und der Weg dazu ist wiederum: Die Aktivierung von Affekten.
Die Texte der Primatologie lassen sich daher nicht nur mit Bezug zu literaturtheoretischen Konzepten der Postcolonial Studies und ihrer Kritik des diskursiven Otherings und in systematischer und vergleichender Analyse des Zusammenhangs zwischen der Beobachtung von Arten und Kulturen und der Poetik und Rhetorik von Emotionen untersuchen, sondern auch kulturwissenschaftlich informiert in einem weiter gefassten Diskurs als Literatur über das komplexe Verhältnis des Menschen zu seiner liebsten Reflexionsfigur, dem Affen, kontextualisieren. |